Murmillo-Archiv

Donnerstag, 1. Oktober 2015

OVID: AMORES I, 8: MONEY FOR LOVE

Zwar ist OVID, wie hinlänglich klar geworden ist, ein Immoralist in Sachen Liebe, auch wenn dies oft nur gespielt und Pose ist, doch diesmal wird sein "Immoralismus" noch weit übertroffen: Es gibt nämlich eine alte Kupplerin und Hexe, die den sprechenden Namen "Durst" trägt, weil sie Eos (Aurora), die Morgenröte, niemals nüchtern erblickt hat. Sie verfügt über allerlei Zauberkünste (Kirkes Zaubersprüche): So kann sie angeblich einen Fluß zur Quelle zurücklenken, kennt sich in Kräutern aus, weiß wie das Zauberrad funktioniert (ein Gerät für den Liebeszauber), weiß was der Schleim von Stuten bewirkt, sie kann Wolken herbeizaubern, aber auch die Sonne klar scheinen lassen, sie kann bewirken, daß Blut von den Sternen tropft, daß der Mond sich von Blut purpur färbt, sie kann in Eulengestalt durch die Nacht fliegen, dann trägt sie ein Federkleid und hat doppelte Pupillen (böser Blick; vgl. Plinius d. Ä. nat. hist 7, 18), sie kann aus den Gräbern die Stimmen der Toten wecken und schließlich Gestein durch ihren Zaubersingsang spalten.
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Dieses alte Weib lebt davon "züchtige" Frauen zu verführen. Dazu benutzt sie ihre Redegabe. Rein zufällig konnte OVID folgendes Gespräch belauschen (Erzählung in der Erzählung):
Die alte Hexe redet auf CORINNA ein, daß ein reicher Jüngling ein Auge auf sie geworfen habe. Dabei schmeichelt sie ihr: Das sei schließlich kein Wunder, denn sie stehe keiner an Schönheit nach! Es fehle ihr nur noch der Schmuck ("Diamonds are a girl's best friend", sang schon die Monroe.). Falsch, wie die Alte ist, wünscht sie ihr ebensoviel Reichtum wie Schönheit. Sie gibt sogar dreist ihre niedrigen Absichten zu, daß sie sich dadurch auch bereichern könne.
Auch stünden die Sterne gut: Mars sei verschwunden, und Venus herrsche jetzt. Diese helfe sogleich, denn schon ist ein Verehrer da, der ihr alles kaufen werde, was im Haus fehlt. Außerdem gleiche er ihr an Schönheit. Ganz rhetorisch beendet sie den Gedankengang: Wenn er nicht um dich werben würde, müßtest du es tun.
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Das Mädchen wird vor Scham rot. Die Alte versucht CORINNA weiter zu verderben: Allein die gespielte Scham nütze, die echte schade nur!-Mach einen auf schüchtern und sieh, was er dir bringt.- Zu Zeiten des Königs TATIUS gaben sich die "schmuddeligen Tächter" der Sabiner nicht mehreren Männern hin. In Rom aber herrsche jetzt VENUS. Alles strebe nach Genuß.- Die Keuschen sind nur die, die keiner haben will.- Wer nicht blöd ist, schnappt sich einen Mann.
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CORINNA zweifelt. Die Alte rät ihr, die Falten ihrer Stirn herauszuschütteln. Dabei falle keine Sünde heraus.-Schon PENELOPE prüfte die Freier auf "Tauglichkeit".- Das Leben vergeht schnell.- Das Geschirr werde nur durch Gebrauch blank gehalten.- Unbewohnte Häuser verfallen.- Wenn du keinen ranläßt, wird dein Körper früh altern.- Am besten so viele wie möglich, dann ist auch der Gewinn größer!- Dann raubst du einem auch nicht zuviel, wie der Wolf mühelos in eine Herde einbricht.
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Ein armer Narr von Dichter kann dir nur Lieder schenken, davon hat er allerdings tausende. Keiner von denen trägt goldene Gewänder, nur Apoll selbst. Er hat sogar eine goldene Harfe.-Wenn dir einer was schenkt, soll er dir mehr wert sein als HOMER selbst!-Ahnenbilder sollen dir egal sein, so einer soll verschwinden, wenn er arm ist.- Will einer, daß du es umsonst tust, soll sein Liebhaber blechen.- Doch sei vorsichtig beim Fordern!-Wenn du ihn hast, dann nimm ihn aus!
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Stelle dich verliebt!-Lass' den Trottel glauben, daß du ihn liebst!-Gib bloß nicht deine Liebe umsonst!- Mach' dich rar, täusche Migräne vor!-Oder sage, daß heute ISIS Keuschheit verlange!-Lasse ihn dann wieder zu dir, sonst wendet er sich frustriert ganz ab.- Sei taub für den, der bettelt, offen aber für den, der gibt.-Dem Gekränten zürne! Damit beseitigst zu eigen Schuld.-Er selbst darf dir aber nicht zu lange böse sein, da dies die Liebe vernichtet.-Lerne (auf Kommando) zu heulen!-Schwöre Treue, wenn du einen betrügst!-Egal, wen du von den Göttern anrufst, VENUS macht sie taub!-
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Ein Diener bzw. eine Vertraute sollen dir sagen, was er dir kaufen soll!-Auch sie sollen ihn um etwas bitten! So wird aus vielen kleinen Dingen viel.-Alle sollen ihn "ausziehen" (ausplündern)! Wenn viele pflücken, ist die Ernte schnell eingebracht.-Hast du keine Gründe für ein Geschenk, dann tu so, als ob du bald Geburtstag hast.-Er soll sich vor dem Konkurrenten nie sicher fühlen!-Nimmt man der Liebe die Qual, dann dauert sie nicht lange.-Er soll in deinem Bett die Spuren eines anderen sehen!-Auch den Knutschfleck an deinem Hals.-Er soll sehen, was dir ein anderer geschenkt hat!-Schenkt dir keiner was, kauf es dir selbst (wohl auf seine Rechnung)!-Leihe, ohne zurückzugeben!-Rede lügnerisch!-Werbe um ihn, verderbe ihn, unter deinen honigsüßen Worten soll er das Gift nicht bemerken!
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Tust du das, was ich dir sage, dann wirst du es mir danken (sie weißt auf ihre große "Erfahrung" hin).
Auch wirst du die Götter für mich bitten, daß ich einst sanft ruhe (blasphemisch!).-
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Die Empörung des Lesers-jedenfalls ging es mir so-ist ins Unermeßliche gestiegen! Die alte Vettel soll der Teufel holen! Es folgt nun so etwas wie "poetische Gerechtigkeit":
OVID kann sich kaum noch zurückhalten, der Alten eins draufzugeben, ihr die wenigen Haare auszuraufen oder ihre Augen und runzligen Wangen zu zerkratzen. Er verflucht das alte Reptil: Die Götter sollen sie heimatlos machen, ihr die Freunde nehmen, sie sollen ihr lange Winter und ewigen Durst geben (besonders letzteres muß für Frau "Durst" schlimm sein).
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Zwei Welten treffen hier aufeinander: die schmutzige Welt der Alten, geprägt von Gier und Niedertracht, und die reine Welt des Dichters, geprägt von Geist, Schönheit und Idealismus. Dazwischen das Fräulein mit seinem schwachen Charakter.
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by
Django
copright



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