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Montag, 29. Oktober 2018

SENECA: PHILOSOPHISCHE SCHRIFTEN

Vollständige Studienausgabe, Marixverlag, übers. u. eingeleitet sowie mit Anmerkungen versehen von OTTO APPELT, Wiesbaden 2004.
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ABITURIENTEN, HERHÖREN!-

1.) Macht euch Exzerpte sämtlicher Dialogi von SENECA PHILOSOPHUS (es gibt auch noch andere Senecae, wie Seneca grandio, der alles Große liebte, einschließlich großer Frauen, und den Redner). Dann könnt ihr a) den ganzen Kram besser einordnen, b) ihr bekommt einen Überblick (ihr wißt ja, was passiert, "wenn ma de Iwwerblick verliere dut"), c) ihr lernt Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen, d) ihr bekommt die Diktion von S. besser drauf, e) ihr macht ausnahmsweise mal etwas Sinnvolleres als smartphone und vom Geld eurer Eltern zu konsumieren.
2) Ich habe "De vita beata" in 2 Tagen exzerpiert. Es gibt insgesamt 8 dialogi:
-De vita beata
-de constantia (was den meisten abgeht)
-de tranquilitate (das braucht ihr fürs Abi)
-de otio (habt ihr genug gehabt; 18-19 Jahre lang)
-de ira (kriege ich, wenn ich die Arbeitsmoral meiner Zöglinge sehe)
-de clementia (gibt es nicht)
-de brevitate vitae (dazu sage ich nichts)
-de providentia (von der Vor-sehung; ich sehe Schreckliches voraus...)
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jeder Dialog 2 Tage, 8 mal 2 sind 16 (Sonntag ist frei) Tage Seneca exzerpieren; dann das Ganze vor dem Abi mindestens dreimal durchlesen; sodann:
aus jedem Dialogus mind. 2-3 zentrale Perikopen übersetzen.
Ebenso: Die Epistulae, es sind nur 124, lesen! Mind. 20 Zentalstellen übersetzen!
Des weiteren: Die Consolationes an Marcia, Helvia, Polybius, lesen; aus jeder: jew. 2 Perikopen.-Parole sei: strenges Übersetzen.
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Habt ihr das kapiert?-Dann könnt ihr wegtreten.

SENECA: DE VITA BEATA (4)

18) Solche Einwände gibt es auch gegen Platon und Epikur; doch sie wollten ja nicht sagen wie sie lebten, sondern wie es nötig wäre zu leben; er rede schließlich von der T. (der Rechtschaffenheit) und nicht von sich; die Bosheit der anderen solle ihn nicht vom Wege abbringen oder ein ideales Leben, wie es sein solle, zu preisen; doch nichts bleibt von der Boshaftigkeit verschont; diesen Leuten ist ein Kyniker zu arm...;
19) Diodorus, der philosophisch aus dem Leben schied; wird positiv gewertet (sehe ich anders; Anm. d. Verf.); für die Kläffer ist es wichtig, daß niemand für gut gilt; die T. anderer ist ein Vorwurf gegen sie; sie vergleichen Glanzvolles mit ihrem Schmutz; wenn die Tugendsamen schlecht sein sollen, was seid ihr dann?-Einwand: niemand handle gemäß seinen Worten; Entgegnung: die Tugendhaften reden schließlich von großen Dingen und wollen sich von ihren Marterpfählen losreißen, woran sich die Schlechten selbst festgenagelt haben; sie hängen an so vielen, wie sie Leidenschaften haben.
20) Die Leistung der Philosophen besteht in den edlen Zielen; es gibt keinen Grund, gute Worte und Gedanken zu verachten; Beschäftigung mit guten Dingen=lobenswert; auch ohne Erfolg (wie bei mir; Anm. d. Verf.); kein Wunder, wenn manche nicht bis zum Gipfel kommen; doch wer Großes versucht, ist achtenswert, auch wenn er fällt; alles ist nur Geschenk, kein Besitz; Wohltaten nur nach Wert des Empfägers schätzen; keine beliebigen Meinungen im Handeln haben, sondern feste Überzeugung; die Welt=das Vaterland; auch wenn man nicht ans Ziel kommt, so war es doch ein großes Beginnen; die Lästerer hassen die Tugend; Vergleich mit kranken Augen und Nachttieren, die das Licht scheuen; die Lästere werden ihr Ziel nicht erreichen.
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SENECA: DE VITA BEATA (3)

9) Einwand: man huldige doch nur der Tugend, weil man sich Lust davon verspreche; mag sein, doch sie sollte nicht wegen dieser erstrebt werden; die Tugend gewährt Lust nicht schlechthin, sondern auch; Vergleich mit Blumen auf Acker; Lust=weder Lohn noch Grund der T.; höchstes Gut=Urteilsvermögen und Verstand; das reicht, denn es gibt nichts weiter über das Ganze wie auch über das Ende hinaus; Frage, zu welchem Zweck man die Tugend erstrebe=falsch, da man nach etwas frage, was über das Ende hinausgehe (kapiert?); man soll daher von der T. nur sie selbst verlangen; denn es gebe nichts Besseres als sie; sie ist ihr eigner Preis; höchstes Gut=Unerschütterlichkeit, Umsicht, Erhabenheit etc.; was soll man da Höheres fordern?
10) Fressen ist nicht Lebensglück; gerade die Stumpfsinnigsten leben dem Vergnügen; Laster findet sich oft bei der Lust; Negativbeispiele: Übermut, Selbstüberschätzung, blinde Verliebtheit in das Eigene, sich über Nichtigkeiten freuen, Albernheiten, Trägheit, Schlaffheit, Schmähsucht; dagegen T.: ihr macht nicht der Genuß Freude, sondern dessen Mäßigung; Minderung des Einflusses der Lüste; die L. ist überhaupt kein Gut; er tue nichts der Lust wegen (die meisten aber alles; Anm. d. Verf.).
11) Lust als Prinzip=falsch; ein Weiser hat nichts über sich (nur meine Schüler haben mich über sich, aber die sind ja auch nicht weise); er hat schon gar nicht die Lust über sich; wie will ein von Lust Beherrschter die Bedrohungen des Lebens aushalten?-wenn er sich schon von so einem weichlichen Gegener wie der L. beherrschen läßt; wie soll die T. die L. beherrschen, wenn sie ihr folgt?-das wäre eine Umkehrung der Stellung beider; ist das dann überhaupt noch T.?-Beispiele für Dekadenz: Apicius u.a.; denen ist gar nicht so wohl, denn sie erfreuen sich an etwas, was kein Gut ist.
12) Zwiespalt solcher Menschen, ihre Unruhe, ihr Druck, die Reue etc. (heiterer Wahnsinn und lachende Tollheit); dagegen der Weise: maßvoll in der L.; man soll L. und T. nicht verbinden; es gibt Leute, die ihre Laster für Weisheit ausgeben; sie verbergen ihre Genußsucht auch noch unter dem Philosophenmantel; das alles habe nichts mit EPIKUR zu tun; das einzige Gut, was solche Leute noch hatten, die Scheu vor der Sünde, das verlieren sie auch noch; ja, sie sind noch stolz darauf (so mies zu sein, Anm. d. Verf.).
13) dennoch: EPIKURS Lehre=richtig; da bei ihm die L. maßvoll; diese solle der Natur gehorchen; der Natur genügt nur wenig L.; EPIKUR werde zu Unrecht diffamiert; natürliche und grenzenlose L.; Übermaß: gefährlich; T. kennt kein Übermaß, da nichts besser als sie; L. nur Begleiter der T., die führt.
14) Hat die L. den Vorrang, geht die T. verloren; der Mangel an L. quält solche Leute; negative Folgen der blinden Vernarrtheit in irgendwas; wer Schlechtes anstrebt, für den ist es schlecht, sein Ziel zu erreichen; Vergleich mit dem Einfangen wilder Tiere; je mehr Aufregungen man hat, desto mehr wird man beherrscht; wer der L. nachjagt, vernachlässigt alles andere; er gibt seine Freiheit auf; er erlangt nicht L., sondern verkauft sich an sie.
15) Warum nicht Vereinigung von L. und T.?-weil sie dadurch ihre Reinheit einbüßen würde; und: was Teil des Sittlichen ist, muß selber sittlich sein; vereinigt man beide, schwächte man die T.; sie würde dann sogar vom Schicksal abhängen; das höchste Gut muß sich so erheben, daß es nicht herabgezogen werden kann; das kann nur die T.; Beispiele von Torheit: sivh zwingen lassen, über Verzicht klagen, sich verwundern, unwillig sein; denn: nach dem unabänderlichen Weltenplan müssen wir alles Leiden auf uns nehemn; wir müssen uns mit der Sterblichkeit abfinden; dürfen uns nicht von dem beirren lassen, was nicht in unserer Macht steht.
16) T.=Glück (für T. sollte man besser das Rechte setzen; Anm. d. Verf.); nichts ist ein Gut, das nicht T. zur Ursache hat; man soll unerschütterlich seinen Platz behaupten; das Gute reicht zum glückseligen Leben aus; die einen sind dem Irdischen verhaftet; der zu Höherem fortschreitet, bewegt sich aufwärts; er hat nur eine lose kette; er ist so gurt wie frei;
17) Enwand, warum man in Worten tapferer sei als im Leben?-warum habe man mehr, als man sich merken könne?-Seneca entgegnet: ER SEI KEIN WEISER!-er gleiche nicht den Besten, sondern wolle nur besser als die Schlechten sein; er sage all dies nicht in seinem Namen, sondern im Namen derer, die fortgeschritten sind.
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SENECA: DE VITA BEATA (2)

7) Lust ist nicht Tugend; da beide verschiedenartig; es gibt Angenehmes, was nicht tugendhaft ist; Tugendhaftes, was nicht angenehm ist; Lust kann auch mit schändlichem Leben verbunden sein; es gibt Unglückliche wegen der Lust; wäre nicht möglich, wenn mit der Tugend verbunden; Tugend=etwas Hohes; dagegen: Lust (billiges Vergnügen): etwas Niedriges; die wohnt nämlich auch in Kneipen und Puffs; das höchste Gut=unsterblich, ohne Wechsel, fest, weicht nicht; dagegen Vergnügen: erlischt nach Höhepunkt; unverläßlich, beweglich, ohne festen Gehalt; schnell vorübergehend, eilt dem Ende zu; der Anfang weist schon auf den Schluß hin.
8) Lust haben Böse wie Gute; dem besten Leben muß man nachstreben; nicht dem lustvollsten; das Vergnügen soll nicht den Willen lenken; Natur=Führer; sie beachtet die Vernunft, holt ihren Rat; glücklich leben=naturgemäß leben; Lüste sind nicht unser eigenes Ich; werden mit Hilfstruppen verglichen; sollen uns dienen, nicht uns beherrschen; unzugänglich sein für verderbliche Einflüsse von außen; nicht andere bewundern; auf alles gefaßt sein (auch auf die nächste 5 in Latein); sein Leben selbst gestalten; man soll fest im Entschluß sein (kein Wackelpudding wie die meisten Kreaturen); immer wieder in sich zurückkehren; Einklang mit sich; sich nicht in Meinungen verfangen; Eliminierung des Irrtums; wir kommen weniger zu Fall; Selbstautonomie; man handelt nur auf eigenen Befehl (außer meine Schüler: die hören nur auf mein Kommando); nicht träge sein; nicht unentschlossen sein; höchstes Gut=Seeleneintracht; Zwietracht hingegen wohnt bei den Lastern.

SENECA: DE VITA BEATA=VOM GLÜCKSELIGEN LEBEN (1)

1) Das glückselige Leben wollen alle; doch wir wissen nicht, was dahin führt, denn uns fehlt der richtige Blick; je mehr man es erstrebt, desto weiter entfernt es sich, wenn man den Weg verfehlt hat; Eile in die falsche Richtung führt dazu, daß sich der Abstand vergrößert; daher: sich Klarheit verschaffen, über Wesen des Zieles; wo ist der Weg, auf dem wir schnellstens dahin kommen; ist es der rechte, erkennen wir, wieviel wir täglich näher kommen; planloses Vorgehen oder dem Geschnatter der Menge folgen führt zu Fehltritten; dabei entschwindet unser kurzes Leben; wir brauchen einen Sachverständigen, der den Weg kennt; nicht zu vergleichen mit einer Wanderung; denn hier täuscht gerade der am meisten frequentierte Weg; nicht wie das Herdenvieh laufen; der am meisten betretene Weg ist ungleich der richtige; was alle gut finden ist nicht das Beste; nach eigener Einsicht leben; nicht nach der anderer; Negativbeispiel Menschengedränge; keiner irrt nur für sich, sondern zieht andere mit; nur glauben und nicht denken führt nicht zu eigenem Urteil; auch nicht an andere glauben; Irrtum treibt sein Spiel mit uns; er geht von einem zum anderen; Beispiele anderer: verderblich; daher: absondern von der Menge; diese verteidigt die Unvernunft; wankelmütige Volksstimmung bei Wahlen; Gerichte, die nach Gutdünken der Menge entscheiden.
2) Lebensglück ist nicht eine Abstimmung im Senat, wo Majorität zählt; diese=schlecht; der Mehrzahl gefällt nicht das Bessere; Standpunkt der großen Masse=schlecht; was ist das Beste und nicht das Gebräuchlichste?-was sichert uns das wahre Glück?- nicht: was ist der Masse genehm;=Gegenteil von Wahrheit; durch Geist: Unterscheidung von wahr und falsch; was man fürchtet=relativ; wer sich aus der Masse herausheben will, wird angefeindet; Streben auf Erprobtes richten;=innerlich gewiß; nicht auf das, womit angegeben wird; was bestaunt wird=nur äußerer Glanz ohne inneren Wert.
3) Nach nicht äußerem Gut suchen; sondern nach einem in sich gefestigten, gleichmäßigen etc.; dieses liegt nicht fern; man muß nur wissen, wo; doch wir tappen im Dunkeln, gehen dicht dran vorbei; Senecas undogmatisches und eklektisches Vorgehen; Orientierung an Natur;=gemeinsame Position aller Stoiker; nicht von ihr abirren; sich nach ihr bilden=Weisheit; glückliches Leben=das, was mit Natur im Einklang steht; dazu: gesunder Geist; sich nicht vom Schicksal beherrschen lassen; sondern Schicksalsgaben nutzen; Folge: dauerhafte Ruhe; Freiheit; alles fernhalten, was uns reizt oder in Schrecken versetzt; frohe sich gleichbleibende Stimmung; Freude und Eintracht der Seele.
4) Das höchste Gut achtet das Zufällige gering; es erfreut sich nur an der Tugend=Gutheit; glücklich=der, für den nur die gute bzw. schlechte Gesinnung wichtig ist; Unverzagtheit; Verachten billiger Lüste; glücklich=freimütig, aufrecht, unerschrocken standhaft, furchtlos, ohne Begierde; eitle Dinge erhöhen nicht das Lebensglück=bedeutungslos; Reizungen des Körpers=verächtlich; wer die Lust zum Herrn macht, tut dies auch mit dem Schmerz; sich davon losreißen; Gelassenheit; Hoheit des Geistes, erhabene Freude; durch Erkenntnis der Wahrheit.
5) Glück=dessen Bewußtsein; verkehrte Vernunft der Menschen, die wie das Vieh sind; Glück ohne Wahrheit=unmöglich; ohne sicheres Urteil auch nicht; der fest entschlossene Geist, der nicht weicht; Sinnenlust führt zu Unruhe.
6) Das Schlechte zu wollen=Torheit; Glück ohne Vernunft=unmöglich; wer das Schlechte erstrebt=geistig nicht gesund; glücklich nur der, der gesundes Urteil hat; der sich mit seiner Situation arrangiert; dessen Lebenslage die Vernunft billigt.