Murmillo-Archiv

Sonntag, 14. Dezember 2014

LECTIO TERTIA, QUARTA QUINTAQUE: CICERO ÜBER NICHTSTUN UND ALLEINESEIN

(Die "lectio prima" habe ich kraft meines Amtes in zwei Teile geteilt, nämlich in "lectio prima" und "lectio secunda". Warum, wird nicht verraten.)
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LECTIO TERTIA
OPTIME!
Liebe Freunde der Nacht, cari lucifugae, zu mitternächtlicher Stunde noch etwas von MARCUS TULLIUS:

"qui denique, ut AFRICANUM avum meum scribit CATO solitum esse dicere, possit idem de se praedicare, numquam se plus agere quam nihil cum ageret, numquam minus solum esse quam cum solus esset."

Zugegeben, ein etwas merkwürdiger Satz, der auf den ersten Blick sinnwidrig erscheint. Ist er aber nicht. Beim zweiten Hinsehen oder beim dritten (bei manchen auch niemals) geht einem auf, daß es sich nur um einen Scheinwiderspruch handelt, der eine "höhere" Wahrheit enthält, wovon das Opus des MARCUS TULLIUS voll ist. So etwas nennt man ein Paradoxon, das zu den Stilmittel gehört, die ein guter "Orator" so drauf haben muß. Und CICERO war ein solcher!

TRANSLATIO:

man muß aus dem Voratz ergänzen: Derjenige ist glücklich zu preisen...
"der schließlich, wie CATO schreibt, daß mein Großvater AFRICANUS gewohnt war zu sagen (gewöhnlich sagte; Verb adverbiell übersetzt), von sich dasselbe rühmen (preisen; oder einfach: sagen) kann (könnte), daß er niemals mehr tue, als wenn er nichts tue (tun würde), niemals weniger alleine sei, als wenn er alleine sei."
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Wow, what a sentence, what a thought! That's MARCUS TULLIUS!
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OPTIME ITERUM! LECTIO QUARTA:

Lest "illud CICERONIS" (jenen berühmten Ausspruch des CICERO) noch einmal: qui denique...
Adnotationes:
Africanus: P. CORNELIUS SCIPIO AFRICANUS: Konsul 205 und 194 v. Chr. landete mit seinen Truppen in Afrika und besiegte HANNIBAL bei ZAMA 202 v. (s. TITUS LIVIUS). Er gehörte zur Nobiltät und war ein Anhänger der griechischen Kultur; deswegen von CATO getadelt.
CATO: M. PORCIUS CATO CENSORIUS: Konsul 195 v.; Feldherr, Staatsmann, Schriftsteller. Er kämpfte einen vergeblichen Kampf gegen die in Rom eindringende griechische Kultur. CICERO setzte ihm in seinem Werk "CATO MAIOR DE SENECTUTE" ein großartiges Denkmal. Lesen!
solere, soleo, solitus sum=pflegen (aber nicht Kranke, das ist "curare", sondern "pflegen zu tun", wie im Englischen "to be used to")
possit: konsekutiver Konjunktiv: "der von der Art ist, daß er von sich dasselbe rühmen kann (könne)"
ageret; esset: beide Konjunktiv Imperfekt; erkennt man daran, daß der ganze Infinitiv drinsteckt)
2 Erklärungen:
1.) irrealis der Gegenwart (also: tun würde; täte; wäre)
2.) Nebnsätze eines ACI kommen in den Konjunktiv und unterliegen der CONSECUTIO TEMPORUM (Zeitenfolge); die kriegen wir ein anderes Mal; soviel sei nur gesagt: die beiden ACI "se plus agere" und "minus solum esse" (ergänze "se")-man kann beide auch als ein ACI auffassen- hängen von "solitum esse dicere" ab (war gewohnt zu sagen; ist gewohnt gewesen zu sagen), was eine Vergangenheitsform ist: Gleichtzeitigkeit zur Vergangenheit wird durch den Konjunktiv Imperfekt ausgedrückt, was wir im Deutschen nicht unbedingt imitieren müssen.
Das ganze ist eine "Oratio obliqua" (eine indirekte Rede; wörtlich "schräge Rede"). CICERO teilt mit, daß der jüngere SCIPIO (P. CORNELIUS SCIPIO AEMILIANUS AFRICANUS MINOR; langer Name!), der Hauptunterredner des Dialogs, mitteilt, daß CATO schreibt, was AFRICANUS=der ältere SCIPIO gewohnheitsmäßig sagte, nämlich usw. Man könnte hier geradezu von einer dreifachen indirekten Rede sprechen. Bei der "ORATIO OBLIQUA" kommen Behauptungen in den ACI, der ganze Rest (Befehlssätze; Wunschsätze; Nebensätze sowieso) in den "CONIUNCTIVUS SUBIUNCTIVUS" (Konjunktiv der inneren Abhängigkeit oder-nennt ihn wie ihr wollt, von mir aus auch "schräger Konjunktiv". Dieser unterliegt dann der CONSECUTIO TEMPORUM, aber das habe ich ja schon gesagt.
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OPTIME TERTIUM! LECTIO QUINTA:

REPETITIO REPETITIONIS: qui denique...

Wo liegt nun der Tiefsinn des Tiefsinns? Nun, offen gestanden, ich weiß es nicht. Kleiner Scherz. Gestern hatte ich einen kleinen "SOMNIUM SCIPIONIS" (Traum des SCIPIO), und da ist mir doch prompt der AFRICANUS MAIOR erschienen. An sich ist es ja äußerst bedenklich, wenn man Erscheinung hat, aber im Traum geht das o.k. Also, wie ich schon sagte: Da erschien mir der SCIPIO MAIOR und sagte mir: "Höre (ausculta!) Unwissender! Die Sache ist die:
1.) Wenn alle glauben, daß ich nichts tue und nur auf meinem Landgut rumhänge (also bestenfalls die Arbeiter rumscheuche), dann irren die gewaltig. Gerade dann, in Zeiten des 'OTIUM' (Muße), ackere ich sehr viel für die Gemeinschaft (für die "RES PPUBLICA"), nur sieht man es nicht bzw. erst später.
2.) In diesen Phasen produktiver Ruhe, kann ich natürlich keine Leute ertragen, die mich zutexten. Die würden mich nur vom Wesentlichen abhalten. Überhaupt fühle ich mich in banaler Gesellschaft oft allein. Dagegen fühle ich mich alles andere als alleine, wenn ich mit mir zusammen bin, also 'alleine' bin, wie die anderen Kleinhirne sagen. Kapiert?"
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"Äh, ja!"-Dann verschwand die Erscheinung und ich war fast so schlau wie vorher. "Was tun", sprach Zeus?-Abhilfe schaffte die Lektüre von ARTHUR SCHOPENHAUER. Der schreibt nun: Nur platte und banale Menschen brauchen dauernd Unterhaltung und gesellschaftliche Ereignisse (heute würden wir-horribile dictu- "events" sagen). Ein genialer Mensch hingegen, so OLD SCHOPI, habe an sich selbst die allervortrefflichste Unterhaltung.
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FINIS LECTIONIS-VATETE-UND TSCHÜSS!
decurio


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