Murmillo-Archiv

Mittwoch, 13. Mai 2015

OVIDSTELLE: MET. 14, 274: CUM LACTE COAGULA PASSO

Die Lösung, care collega, ist gar trefflich! Ich hatte heute nacht ein langes Gespräch mit dem collega Heidelbergiensis (Michele illustrissimo) hinsichtlich dieses Problems. Der verehrte collega meinte etwa dies: OVID, der sicher über uns lächelt, hatte ursprünglich einen ablativus instrumenti im Sinne. Dann hätte die Stelle gelaute: CUM LACTE COAGULO PASSO. Zwei ablativi mit "o" klingen nicht gut. Außerdem muß aus metrischen Gründen die letzte Silbe von "coagulo" kurz sein. Also entschied sich OVID, eine etwas gewagte Formulierung zu wählen und schrieb "COAGULA" (das letzte "a" ist kurz). Diesen Akussativ Neutrum deutete der collega als sog. "accusativus Graecus".
Par. 116, RUBENBAUER/ HOFMANN steht unter der Überschrift "Akkusativ des Inhalts" dies:
Es gibt drei Arten des Akkusativ des Inhaltes oder des inneren Objekts:
1.) ein stammverwandtes Substantiv tritt als Objekt zum Verbum:=figura etymologica
deorum vitam vivere=ein Götterleben führen
(die meisten führen eher ein miserables)
2.) die Verbalhandlung wird durch das Substantiv spezifiziert; es bezeichnet "eine besondere Erscheinungsform des Vorgangs der Verbalhandlung".
sanguinem sitire=nach Blut dürsten
(schönes Beispiel; weiter so!)
3.) Akk. Neutr. eines Pronomens als inneres Objekt:
a) Akk. obj. bei gewöhnlich intransitiven Verben:
id studeo=ich bemühe mich darum
id glorior=ich rühme mich dessen; z.B. "(de) victoria"=des Sieges; aufgrund des Sieges.
b) Akk. der Sache bei transitiven Verben neben Akk. der Person:
id nos cogitis=dazu zwingt ihr uns
AKKUSATIV DER BEZIEHUNG (acc. graecus):
dichterisch und nachklassisch; nach Adjektiven und Partizipien auf die Frage "in welcher Hinsicht" (besonders zur Angabe von Körperteilen)
flava comas=blond in Bezug auf die Haare; mit blonden Haaren
os umerosque deo similis=in Antlitz und Wuchs einem Gotte gleich.
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Der verehrte collega aus Heidelberg übersetzte also: "MIT HINSICHTLICH (VERMITTELS) DES LABS GERONNENER MILCH"! ("Mit geronnener Milch mit Hilfe des Labs") Es könne sich hierbei nur um einen "ACCUSATIVUS GRAECUS" handeln; das müsse für den Schüler genügen (mit dem ich diese Stelle übersetzte).
Also sprach Zarathustra!
Um die Sache noch ein wenig komplzierter zu machen, schlug ich diese Variante vor:
Noch einmal die ganze Stelle auf Latein:
nec mora, misceri tosti iubet hordea grani
mellaque vimque meri cum lacte coagula passo,
quique sub hac lateant furtim dulcedine, sucos
adicit."
"und ohne Verzug befiehlt sie (KIRKE), daß die Körner der gerösteten Gerste gemischt werden und Honig (dichterischer Plural) und die Kraft des Weines (Abstraktum für Konkretum) mit geronnener Milch, der man Lab beigegeben hat (das Lab ist in der Milch, was durch das HYPERBATON zum Ausdruck gebracht wird), und sie mischt Säfte hinzu, die sich heimlich unter dieser Süße verbergen (die diese Süße verdeckt; der Nebensatz ist proleptisch)."
Das ganze Gebräu dient also der Tarnung. Berühmte Giftmischerinnen haben sich immer wieder dieses Tricks bedient wie das berüchtigte "Blaubeer-Mariechen".
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Wie dem auch sei: Essentia non sunt multiplicanda. Oder um es kurz zu machen: Der KIRKE-COCKTAIL enthält:
geröstete Gerste
Honig (zum Süßen)
Wein (stark)
Milch, in die man Lab (kälbermagen als Ferment) hinzufügte, um sie zur Gerinnung zu bringen
Säfte (das Eigentliche; die Säfte, deren Geschmack von den übrigen Zutaten überdeckt wird, besitzen Zauberkraft).
Resultat: "Schweine-Verwandlung" der Gefährten des Odysseus (nach Trunk und Berührung mit Zauberstab)
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by decurio


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