Die sog. Vindolanda-tablets, die man jetzt auch online betrachten kann, sind für die provinzialrömische Archaeologie von unschätzbarer Bedeutung. Sie gewähren einen Blick zurück in längst vergangene Zeiten, als das Imperium noch florierte. Der Blick des Betrachters wird an den Rand des Imperiums gelenkt, genau genommen an einen Außenposten des Reichs. Im nebligen Norden Englands liegt hinter dem Hadrianswall das Auxiliarkastell Vindolanda, errichtet 85-92 n., neu errichtet in Stein 163 n.
Dort kamen seit den 70ern des letzten Jahrhunderts ungefähr 1000 Holztäfelchen ans Tageslicht, die sich glücklicherweise durch die anaeroben Bedingungen des Bodens erhalten haben.
Die Schreibtafeln gehören zu den dramatischen Funden lateinischer Texte des letzten Jahrhunderts. Sie katapultieren den Interessierten Betrachter direkt zurück in das Alltagsleben römischer Soldaten, die vor knapp 2000 Jahren am Hadrianswall Militärdienst leisteten. Besonders interessant ist dabei, daß es sich vorwiegend um Germanen vom Stamm der Bataver handelte.
Die Texte auf den Tafeln gewähren einen hervorragenden Einblick in das Leben am Wall. Wir gewinnen durch sie zahlreiche neue Erkenntnisse (so z.B. die Stärke der Tungrerkohorte).
Auch viele Namen treten uns nun aus dem Dunkel der Geschichte entgegen. Personen, die längst verstummt sind, sprechen zu uns über die Jahrhunderte hinweg und erzählen uns viele Details aus ihrem Leben.
Eines dieser tablets ist z.B. das tablet 225. Es it ein Brief eines gewissen Cerialis an Crispinus. Die Art wie Cerialis Crispinus anspricht (Dominum meum) legt nahe, daß dieser wohl ein bedeutender Mann, vielleicht von senatorischem Rang, gewesen sein muß. Auch könnte er ein Tribun oder legionis legatus gewesen sein.
Übersicht über das tablet:
Zeile 1: Adressat Crispinus
2: Rückkehr des Grattius Crispinus
3-5:Cerialis ergreift die Gelegenheit zum Gruß
6-9: Er wünscht, daß Crispinus wohlauf sei und seine Hoffnungen einträfen.
9-11: Crispinus habe dies von ihm verdient
13: Zuerst solle ein gew. trefflicher Mann namens Marcellus gegrüßt werden.
14: Cerialis nennt ihn mein Gouverneur (consularem meum)
15: Dieser biete eine Gelegenheit zu...?
16: C. "gebe der Freunde/von den Freunden..." (?)
17-18: Crispinus sei durch dessen Präsenz ihm sehr zu Dank verpflichtet
19-20: Bitte um Erfüllung von Erwartungen
21-24: Bitte um Freunde, damit er einen angenehmen Militärdienst habe. Dies schreibe er aus Vindolanda, aus dem Winterlager.
Es ergeben sich nun folgende Fragen:
1.)Von wo kehrt Crispinus zurück? (Von einem anderen Lager oder von einer civitas oder aus dem Feld?)
2.) Was ist die spes, die Crispinus hat?
3.)Wieso hat er das von Cerialis verdient? (Steht er in dessen Schuld?)
4.)Worauf vertraut er?
5.)Wer ist Marcellus?
6.) Was für eine Gelegenheit bietet er?
7.)Warum gibt er ihm Freunde an die Hand? Welche Freunde?
8.)Warum ist Crispinus für die Präsenz des Marcellus dankbar?
9.)Was erwartet Cerialis?
10) Wieso soll er mit Freunden versehen werden? Wozu?
11)Warum bittet er um einen angenehmen Miltärdienst? Empfindet er seinen gegenwärtigen als zu hart oder hat er Angst vor künftigen Strapazen?
Licet "speculari".
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EREC (direkt vom Hadrianswall)
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