OVID: METAMORPHOSEN I, 5-88: DAS URCHAOS (2)
Vers 10-14:
nullus adhuc (noch immer kein) mundo praebebat (gab der Welt) lumina ("Lichter" (dichterischer Plural; Licht) Titan (der Titan=Helios=Sol=Sonnengott, Sohn des Hyperion; hierauf bezieht sich "nullus")
nec nova (und auch nicht neue) crescendo (durch Wachsen; Zuwachs) reparabat (stellte wieder her) cornua (die "Hörner"; Spitzen der Mondsichel, die sich zum Vollmond füllt) Phoebe (die "Leuchtende", Name der Mondgöttin; Diana)
nec circumfuso (und auch nicht in der umgebenden, "umfließenden"; weder...) pendebat (hing; schwebte) in aere (in der Luft; hierauf bezieht sich "circumfuso") tellus (die Erde)
ponderibus librata suis (durch ihr(e) Gewicht(e) das Gleichgewicht haltend; durch ihre Masse); ins Gleichgewicht gebracht), nec bracchia (und auch nicht ihre Arme; noch...) longo
margine (auf dem langen Rand) terrarum (der Länder) porrexerat Amphitrite (=Frau Neptuns; Göttin des Weltmeeres).
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circumfundere, fudi, fusum=um etw. herumgießen; pass. umgeben
aes, aeris: die untere Luftschicht, in der die Menschen leben im Gegensatz zum Aether (obere, feurige Luftschicht, Wohnung der Götter)
librare=ins Gleichgewicht bringen; pass. das Gleichgewicht halten
porrigere, rexi=ausstrecken, ausbreiten
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Hyperion: s. auch FRIEDRICH HÖLDERIN: HYPERION oder der Eremit in Griechenland.
Aether: s. auch das Gedicht HÖLDERINS AN DEN AETHER:
"Treu und freundlich, wie du, erzog der Götter und Menschen
Keiner, o Vater Aether! mich auf..."
(In dem Gedicht finden sich auch diese wunderschönen Zeilen:
"Aber des Aethers Lieblinge, sie, die glücklichen Vögel,
Wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters!
Raums genug ist für alle. Der Pfad ist keinem bezeichnet,
Und es regen sich frei im Hause die Großen und Kleinen.
Über dem Haupte frohlocken sie mir, und es sehnt sich
auch mein Herz
Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche Heimat
Winkt es von oben herab...")
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Das ist wahre Dichtung! Doch "back to Ovid". Hören wir den "großartigen Suchier":
"Noch goß der Titan nicht in das Weltall leuchtende Strahlen,
noch nicht füllte aus durch Zuwachs Phöbe die Hörner.
Eigenes Gewicht auch hielt noch nicht frei schwebend die Erde
in der umfließenden Luft, noch breitete Amphitrite
nicht weithin an dem Rand daliegender Länder die Arme:
(...)"
Im Vergleich dazu: P. O. Naso: Met., in dt. Hexameter übertragen u. mit dem Text herausgegeben v. E. Rösch, (Ernst Heimeran Verlag München 1961 (Tusculum-Bücherei, hrsg. v. H. Färber u. M. Faltner, S. 7:
"Damals spendete noch ihr Licht keine Sonne dem Weltall,
ließ kein neuer Mond im Wachsen entstehn seine Hörner,
schwebte noch nicht, ringsum von Luft umflossen, die Erde,
ausgewogen im gleichen Gewicht, und hatte den langen
Rand der Länder noch nicht umreckt mit den Armen das Weltmeer."
Ich skandiere (nach bestem Wissen und Gewissen) wie folgt:
"Dámals spéndete nóch ihr Li´cht keine Sónne dem Wéltall,
li ´eß kein neúer Mónd im Wáchsen entstéhn seine Hö´rner,
schwébte noch ni´cht, ringsúm von Lúft umflóssen die Érde,
aúsgewógen im glei´chen Gewi´cht und hátte den lángen
Ránd der Lä´nder noch ni´cht um réckt mit den Ármen das Wéltmeer."
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Die Sicht Ovids mutet fast modern an. Heute wissen wir, daß es lange Zeit dauerte, bis die Sterne zu leuchten anfingen. Auch hatte die Erde anfangs keine Atmosphäre aus Sauerstoff, die sich erst bilden mußte.
Zunächst war die Erde flüssig und heiß, dann gab es einen Urozean. Man nimmt an, daß es einen zusammenhängenden Urkontinent (Pangea?) gab, aus dem sich dann die Kontinente entwickelten. Man weiß heute, daß z.B. Afrika und Südamerika einst zusammenhingen und dann langsam auseinandergedriftet sind (sog. Kontinentaldrift; s. auch Alfred Wegener).
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EREC
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