Stuttgart, 1968:
"Mit der Aeneis wurde der römischen Welt ihr Homer geschenkt. Denn offen zutage liegt, daß die sechs ersten Bücher die römische Odyssee, die letzten sechs die römische Ilias sein sollen.
Als HOMERIDE wie einst ENNIUS singt VERGIL von Sagen des epischen Kyklos. Aber der oft enge Anschluß darf nicht darüber täuschen, daß im Munde Vergils eine ganz neue Form des Epos, das DRAMATISCH-HISTORISCHE, SYMBOLISCHE EPOS geschaffen wurde.
Sich mit der Geschichte zu versöhnen ist seit den BUCOLICA, wie wir sahen, Vergils Hauptanliegen. Diese Versöhnung glückt mit weiteren Teilen der Welt in den GEORGICA. Eine Brücke ist dabei der 'Jüngling', der die Zwietracht beenden wird. Wenn jetzt die Erfüllung gepriesen, AUGUSTUS und seine Herrschaft gefeiert werden soll, so begreift man, daß um dieses Zieles willen die geschichtliche Welt, die eiserne Zeit des Frevels, die Welt usprungsferner und landfremder sittlicher Zerstörung, nun bejaht werden konnte, zugleich versteht man auch, wie schwer es Vergil sein mußte, den IRRFAHRTEN DER GESCHICHTE Sinn abzugewinnen und sie darzustellen. Denn die bare Sinnlosigkeit entzieht sich dem klassischen dichterischen Wort. TANTAE MOLIS ERAT ROMAM CONDERE GENTEM (A. I, 33): das gilt auch für die Arbeit des Dichters, der so viele Spannungen aushalten mußte, um sein Ja zu Augustus zu begründen." (S. 301 f.)
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das Zitat: so vieler Mühen bedurfte es, das römische Volk zu begründen
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Momentchen mal, Vergil war eben doch nur ein Homer zweiter Klasse, ein Epigone. Und Homer gab es vielleicht sowieso nicht oder es gab mehrere von der Sorte. Platon jedenfalls war auf Homer nicht gut zu sprechen. Und ich nicht auf Platon! Man lese nur die Dialoge dieser Nervensäge Sokrates.
Worin besteht denn diese hochgepriesene neue Form? In der Ilias gibt es Gemetzel, wohin das gegrauste Auge blickt, und in der Aeneis auch, besonders im zweiten iliadischen Teil. Hauen und Stechen, du oder ich.
Historisch-dramatisch könnte man daher auch mit sinnlos-brutal übersetzen!
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Und was ist daran bitte symbolhaft? Daß die Geschichte auf Rom zuläuft? Daß Rom eine Idee darstellt? Daß Aeneas im Auftrag des Allermächtigsten unterwegs ist? Davon kenne ich einige Exemplare.
Wird da nicht vielmehr ein Sinn in die Geschichte hineinkonstruiert, wo keiner ist?
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HEGEL sah in NAPOLEON die "Weltseele" zu Pferd, bis die Soldaten des Kaisers seine Wohnung auf den Kopf stellten!
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Weltseele zu Pferd, von wegen: Napoleon war bei Waterloo ein schmerzgeplagter Mann mit Bauchkrämpfen, dem die Führung entglitt und der das Opfer von Größenwahn, des durchgeknallten Marschall Neys, der dem ganzen Stress nicht gewachsen war, und des Marschall Grouchy wurde, der im Gelände herumirrte und es vorzog, erst gar nicht zu erscheinen.
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Nein, betrachtet man die Geschichte bei Licht, so zeigt sich, daß sie eine Anhäufung von Irrwegen oder auch ein veritables Tollhaus ist.
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Der Geschichte kann ich beim besten Willen keinen Sinn abgewinnen. Auch rechtfertigt ein angeblich hehres Ziel nicht die vielen Opfer und "atrocities".
Natürlich war man in Rom froh, daß endlich die ewigen Bürgerkriege vorbei waren (da konnte man wieder in Ruhe Fußball gucken). Klar war es anstrengend, Rom groß zu machen, ebenso die Aeneis zu dichten (noch heute ist es nicht "easy", sie zu übersetzen). Und Augustus war gar nicht so übel, verglichen mit späteren Kaisern wie Caligula, Nero und Domitian. Aber dieses Ja zu einem Alleinherrscher hat immer den Geruch von Anbiederei und Fürstendienerei. Wo viel Licht ist, da ist viel Schatten. Man will halt die dunklen Seiten nicht sehen, weil es den Genuß stört.
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