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Sonntag, 29. September 2013

SENECA: EPISTULAE MORALES 28, 7-8:

Dissentio ab his (Ich stimme mit diesen nicht überein; weiche von ihnen ab), qui in fluctus medios eunt (die mitten in den Fluß gehen) et tumultuosam probantes vitam (ein unruhiges; ein bewegtes Leben billigend; gutheißend; indem sie...) cotidie cum difficultatibus (täglich mit den Schwierigkeiten der Dinge; Verhältnisse) magno animo conluctantur (mit großem Mut kämpfen). Sapiens feret ista (Der Weise wird diese ertragen), non eliget (doch er wird sie nicht aufsuchen; für sich auswählen), et malet (und er wird lieber wollen; vorziehen) in pace esse (in Friede zu sein; zu leben) quam in pugna (als im Kampf);
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Halt! Langsam! Hier widerspricht sich unser Philosoph ein wenig, denn er lehrt: VIVERE EST MILITARE!=Leben ist Kriegsdienst tun.
Ich fasse zusammen:
Der "Sapiens" tut folgendes:
1.) er meidet das bewegte Leben wegen der "tranquilitas animi"; er strebt nach der "vita contemplativa"; er ist "Kontemplatiker"
2.) er erträgt die Übel des Seins (Dieser Ansatz ist geradezu christlich! Nicht umsonst wurde Seneca eine gewisse Nähe zum Christentum nachgesagt. Es gab sogar einen apokryphen Briefwechsel mit dem Apostel Paulus, eine "pia fraus ad maiorem Dei gloriam". Was man nicht alles tut, um an die Macht zu kommen!)
3.) der Weise kämpft nicht gerne (außer gegen die Laster) und zieht den Frieden vor; er ist also Pazifist
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Schon geht's weiter (Lieblingsspruch meines Professors H. Walter; Uni Mannheim):
non multum prodest (es hilft nicht viel; nützt nicht viel) vitia sua proiecisse (seine eigenen Fehler von sich geworfen zu haben; weg-, abgeworfen zu haben), si cum alienis (wenn mit fremden) rixandum est (zu kämpfen ist; gekämpft werden muß). 'Triginta' inquit 'tyranni (30 Tyrannen, sagst Du; sagt man) Socraten circumsteterunt (umstanden den Sokrates) nec potuerunt (und konnten nicht; vermochten es nicht) animum eius infringere' (seinen Geist zu brechen). Quid interest (Was liegt daran; was kommt es darauf an; was ist daran gelegen), quot domini sint (wie viele Herren es sind)? servitus una est (die Knechtschaft ist nur eine). hanc qui contempsit (wer diese/ sie verachtet), in quantalibet turba dominantium liber est (ist (auch) in einer beliebig großen Menge von Gewaltherrschern frei; in einer noch so großen; wie groß sie auch sei).
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Also:
Der Stoicus läßt sich von schlechten Verhältnissen nicht "unterkriegen". Beispiel und Vorbild: Sokrates. Dieser bewahrte unter den Tyrannen seine geistige Freiheit.
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Hehre Ziele und Ideale!
Das Ganze hat aber leider einen kleinen Haken: Das stoische Ideal des weltfernen Weisen läßt sich nur schwer oder kaum verwirklichen (außerdem viel zu anstrengend). Der hohe moralische Anspruch der Stoa hat viele abgeschreckt. Besonders die, die sowieso keine Moral haben (und das sind, wie man weiß, nicht gerade wenige!). Kein Wunder, daß die "Normalos" zu dem Christen hingerannt sind. Insofern hat Seneca der christlichen Sekte ungewollt zugearbeitet, indem er die moralische Meßlatte ein wenig zu hoch gelegt hat.
Da sieht man mal wieder, wohin Rigorismus führt.-
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R.


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